Einige von mir gesammelte Theatergeschichten.
Die ersten großen Erfolge oder Misserfolge hat meistens ein junger Schauspieler schon beim Vorsprechen in seiner Schule.
Ich wurde mit zwei nicht ganz leichten Aufgaben betraut.
Ich sollte bei unserem sehr gefürchteten, weil überkritischen, strengen Professor, den ich sehr verehrt habe, Dr. Otto Schulbauer, den Hamlet vorsprechen.
Und sprach mit großer Intensität und Aufregung sein oder nicht sein vor.
Schulbauer unterbrach mich kein einziges Mal und ließ mich minutenlang, nach*** ich geendet hatte, auf seine Kritik warten.
Ich stand belemmert und verlegen von einem Fuß auf den anderen, tretend auf *** Podium und sah mit saugenden Augen auf das steinerne Gesicht Otto Schulbauers, der ganz langsam begann.
Lieber Herr Schenk, man kann den Hamlet spielen gehend, sitzend, auf *** Rücken liegend, auf *** Bauch liegend.
Verhetzt, gemessen, laut, leise, philosophisch, nervös.
Man kann ihn spielen als Renaissance-Menschen, in modernem Gewand, als potenziellen Selbstmörder, als hämischen Kritiker.
Man kann ihn spielen keuchend, mit kurzem Atem, eloquent, mit messerscharfer Rede, rhetorisch, konversationell.
So wie Sie ihn gespielt haben.
Man kann ihn nicht spielen.
Mit dieser Ermutigung wurde ich mit meiner zweiten Aufgabe von Professor Fred Lever betraut, mit *** ersten Faustmonolog.
Sie müssen wissen, meine Damen und Herren, die Regiehörer,
die wir als dritten Jahrgangs, zu denen wir damals wie zu Götter aufsahen, wie Anfänger,
stürzten sich immer auf die jungen Regieopfer, die wir bildeten, wenn so eine Rolle vergeben wurde.
Kurt Müller-Böck stand schon in der Schülerbibliothek, als ich mir das Faustbüchlein ausborgte, um mit *** Studium zu beginnen.
Er griff mich beim Nacken und sagte,
Herr Spur,
ich bin in Faust ein Spezialist.
Ich möchte mit dir arbeiten.
Was für einen Faustmonolog machst du?
Den Urfaust oder den gewöhnlichen Faust?
Gebildet, wie ich damals noch war, sagte ich, der Anfangsmonolog ist doch beiden so ziemlich der gleiche.
Ha, hast du Ahnung, sagte er mit der Arroganz des alteingesessenen Seminaristen.
Der Urfaust ist ein Aufschrei.
Wenn der Vorhang zehn Zentimeter hoch ist, musst du schon brüllen.
Dann möchte ich lieber den gewöhnlichen Faust machen, antwortete ich.
Ich studierte mit Kurt Müller-Böck trotz allem noch immer einen sehr temperamentvollen Faust ein,
arrangierte mit mitgebrachten Requisiten und Regalen die Studierstube,
belegte Bücherstapel auf einen Wackel,
einen wackeligen Tisch, sogar einen Totenkopf aus Pappmaché hatte ich aufgeboten
und einige Reagenzgläser und Retorten aus Plastik.
Mein Faust, beziehungsweise der Faust Kurt Müller-Böcks, ging mit diesen Dingen recht unsanft um.
Und ich begann, weh, stöck ich in *** Kerker noch.
Mit einem Krach flog der Tisch um, verfluchtes, dumpfes Mauerloch.
Mit einem Tritt beförderte ich den Sessel in die Ecke bei den Worten mit Instrument.
Unten, voll gepflopft, wurden die Reagenzgläser vom Regal gefegt.
Auch dieses ging dann noch in Trümmer, so wie die Bücherstellage.
Und mit den Worten, das heißt deine Welt, bearbeitete ich das Studierpult so lang mit den Fäusten,
dass es auch zu Boden krachte.
Dann stand ich schweißgebadet da und wartete auf Fredis, so nannten wir unseren geliebten Fred Lever, Kritik.
Fredi, die Güte.
Selbst, im Gegensatz zu Schulbauer, sagte, mein lieber Junge, das war kein Faust,
das war ein alter Jud, der sich über sein Mobilar aufregt.
Applaus
Wir,
österreichischen Schauspieler,
haben eine
angeborene Schwierigkeit,
unseren Dialekt.
Nur mit großem Fleiß und manchmal oft vergeblicher Mühe
erschließt sich uns das Hochdeutsch
als erste Fremdsprache,
die wir im Leben lernen müssen.
Wir haben es auf diesem Gebiet viel schwerer als die Politiker,
die mit L, E und O
Applaus
Wunderbar.
Applaus
Ohne jede Schwierigkeit in die höchsten Ämter gelangen können.
Wenn sie dann in ihre Reden noch ein paar jene einflechten,
von jenen Wählern reden,
jene Steuern ermäßigen wollen,
alle jene ansprechen wollen, die ihnen doch nicht zuhören,
Applaus
dann ist die Sache geritzt.
Applaus
Ich wäre eigentlich neugierig zu wissen,
ob sie zuhause auch sagen,
geh an, ich sei so gut, gib mir jene Botschen, die dort unten...
Applaus
Kann ich mir nicht vorstellen.
Applaus
Also wie gesagt, wir Schauspieler tanzen auf der dünnen, zerbrechlichen Decke
unseres Hochdeutsch einen gefährlichen Tanz
und wie dünn sie ist, beweist folgende Geschichte.
Ein berühmter Wiener Schauspieler begann einen Rezipienten,
an einem Präsentationsabend in meisterhaftem Hochdeutsch.
Er begann das wunderschöne Abendlied von Matthias Claudius.
Der Mond ist aufgegangen,
die goldenen Sternlein prangen am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel Wunderpor.
Applaus
Sie sehen, meine Damen und Herren, Sie sehen,
dass die Innigkeit ihn sofort wieder in die Heimat zurückgeführt hat.
Applaus
Die folgende Geschichte zeigt,
dass auch die dramatische Wahrheitsbekundung
zu ähnlichem Unglück führen kann.
Der Schauplatz ist das Ronacher.
Das Stück ist Schillers Jungfrau von Orléans.
Unser Schauspieler spielt den Dauphin und beginnt.
Kann ich Armeen aus der Erde stampfen?
Wächst mir ein Kornfeld auf der flochen Hand?
Applaus
Mehr noch als im Leben spricht man bei uns Schauspielern von einem Ton.
Also jedes Gefühl, jeder Satz, jede menschliche Schwäche
löst in der Stimme und in der Art zu sprechen einen bestimmten Ton aus.
Ein Meister dieser Töne oder Tönchen, wie er sie sogar selbst nannte,
war Alfred Neugebauer.
Das ging so weit, dass er auch im Leben
für gewisse Dinge sich bestimmte Töne zurechtgelegt hatte.
Er sprach zu seinem Hund ganz anders als zu seinen Freunden,
zu seiner Frau anders als zu seinen Kollegen
und hatte einen ganz besonders freundlichen Ton
für Leute, die ihn bedienten oder ihm eine Aufmerksamkeit erwiesen.
Deshalb war er ein stets gern gesehener Gast.
In der Konditorei Demel, wo er auch jedes Mal für seinen Hund,
Waldi, ein Kipferl besorgte.
Bevor man den Demel verlässt, bezahlt man an der Kassa.
Die Kassierin war eine große Anhängerin von Alfred Neugebauer,
mit der er immer freundliche Worte wechselte.
Eines Tages war er aber etwas in Eile und verwechselte den Ton,
mit *** er Waldi das Kipferl gab,
Applaus
mit *** Ton, mit *** man die Kassierin fragt,
wie viel man schuldig sei.
Das klang dann ungefähr so.
Da hast du, lieber Waldi, das Kipferl.
Und zur Kassierin, wo bin ich denn schuldig?
Applaus
Applaus
Max Adalbert war ein sehr, sehr beliebter, genialer Berliner Komiker,
den kaum etwas aus der Fassung bringen konnte
und der auf alle Eventualitäten, die auf der Bühne passierten
oder passieren konnten, ein schlagfertiges Extempore wusste.
Applaus
Er war auch ein großer Hundefreund und hatte,
obwohl Tiere im Theater verboten waren, im Vertrag,
dass er seinen etwas unerzogenen Straßenköter in die Garderobe mitnehmen durfte.
Auf der Bühne saß er als Schneider Wibbel auf einem Tisch
und neben ihm hing ein Kanarienkäfig.
Seine Garderobe, in der der Hund vor sich hin knurrte,
grenzte unglücklicherweise sehr nahe an die Bühne,
der Hund wurde immer unruhiger,
durch irgendetwas irritiert brach er schließlich
in lautes, die Vorstellung entsetzlich störendes Bellen aus,
das durch das ganze Haus donnerte.
Max Adalbert auf der Bühne hörte seelenruhig zu Nähen auf,
ging zu *** Kanarienkäfig und sagte im breitesten Berlinerisch
zu *** Kanarie im Käfig
»Wohl wahnsinnig geworden!«
Applaus
In einer Generalprobe wurden einmal, obwohl sie streng geschlossen war,
aus besonderer Ehrfurcht nur Berthold Brecht und Fritz Kortner,
hineingelassen.
Auf *** Anschlag war auch gedruckt
»Die Generalprobe ist geschlossen, außer für Herrn Brecht und Herrn Kortner«
und so saßen diese zwei großen Persönlichkeiten einsam
wie ein erratischer Block im leeren Zuschauerraum.
Die Probe begann und nach zehn Minuten flüsterte Kortner zu Brecht
»Alle anderen hätten Sie hereinlassen.«
Nur uns zwei nicht.
Applaus
Bei den Oberammer-Gauer-Festspielen erwies es sich,
dass auch mehrmaliges Soufflieren nicht zum gewünschten Erfolg führen muss.
Erschöpft von seiner Rolle und ganz hingegeben *** Sterben am Kreuze,
war Christus um einen Satz zu früh gestorben.
Er hatte sich die berühmten Worte »Es ist vollbracht« geschenkt.
Die Souffleuse, eine fromme, bibelkundige Frau,
wollte sich damit nicht zufrieden geben
und das berühmte Wort »Es ist vollbracht« unbedingt noch von ihrem Christus hören.
Sie robbte fast aus ihrem Souffleurkasten
und stöhnte über die weite Distanz immer wieder.
»Es ist vollbracht, vollbracht, vollbracht, vollbracht.«
Tatsächlich erwachte Christus wieder, hob die Augen zum Himmel
und sagte mit verhauchender, aber weithin hörbarer Stimme
»Es ist prachtvoll.«
Applaus
Eine der schönsten Feiern, die das Burgtheater je veranstaltet hat,
war der 100. Geburtstag Rosa Albach-Rettis.
Rosa Albach-Rettis gehörte zu den geliebtesten Wiener Schauspielerinnen.
Auf der Bühne des Burgtheaters war das ganze Ensemble versammelt
und in der Mitte auf einem kleinen Podium wartete ein Thronsessel auf die Jubilarin.
Sie wurde von den ältesten aktiven Mitgliedern Philippin,
Jupp Zeska und Richard Aibner unter unvorstellbarem Jubel der Festgäste
auf dieses Podium geleitet.
Leider nicht ganz ohne Mühe der beiden alten Herren,
die rechts und links von Rosa Albach-Retti auf *** Podium Platz nahmen.
Die letzte Hofschauspielerin musste sich zahlreiche Reden anhören
und die Feier dauerte unbeträchtliches länger als geplant.
Auf der Heimfahrt nach Baden
wurde Rosa Albach-Retti gefragt,
ob der Festakt mit all seinen Aufregungen für sie nicht zu anstrengend gewesen sei.
Sie antwortete schmerzlich lächelnd,
ach gut, es war durchaus zum aushalten,
nur ein bisserl anstrengend war's halt schon,
wie ich den Zeska und den Aibner zugleich aufs Podium hab hinaufschleppen müssen.
Rosa Albach-Retti sollte zu ihrem 105. Geburtstag noch einmal gefilmt werden.
Sie empfing im Künstlerheim, wo sie lebte, das Filmteam des ORF an der Eingangstüre
und man beschloss, die Aufnahme im ersten Stock in ihren Privatzimmern zu machen.
Die stiegen zum ersten Stock,
nahm die unwahrscheinlich rüstige 105-jährige Rosa Albach-Retti,
denn doch etwas zu schnell, sie musste stehen bleiben,
stützte sich kurz auf den Kameramann, der sie begleitete,
und sagte seufzend,
tja, man is halt keine 100 mehr.
Franz Molnar sagte einmal das wohl wahrste Wort,
das man über das Theater je gesagt hat,
schlechteste Jahreszeiten für Theater sind Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren,
der schon einmal öffentlich aufgetreten ist
oder eine Rede gehalten hat,
sei es auch nur, wenn Sie sich bei einer Geburtstagsfeier für etwas bedanken
oder dazu aufstehen mussten,
wird wissen, wie schwer es ist, den ersten Satz herauszubringen.
Also das geht uns Schauspielern ähnlich.
Das Lampenfieber gibt sich frühestens erst nach *** ersten Satz.
Der erste Satz kommt oft sehr mühselig,
zu laut, zu leise, etwas heiser oder stockend heraus.
Was soll jetzt ein armer Anfänger machen,
der überhaupt nur einen Satz zu sprechen hat?
Auch die Kenner im Publikum werden ihm nicht konzitieren,
der Satz, der erste Satz ist schwer zu sprechen,
sondern der kann ja nicht einmal einen Satz sagen,
wird die allgemeine Meinung des Publikums lauten.
Nun gibt es noch dazu boshafte Kollegen,
die sich eine Riesenfreude daraus machen,
diesen einen Satz Schauspieler auch aus diesem Satz herauszubringen
und die diesem Schauspieler vor seinem Auftritt
immer noch einen anderen, ähnlichen, falschen Satz vorschwätzen,
solange bis unser Schauspieler ganz irritiert ist.
Unser Anfänger hat zu sagen,
der Schweizer schießt.
An und für sich ein nicht ganz ungefährlicher Satz.
Die lieben Kollegen sagen ihm immer wieder vor,
der Schweizer schießt.
Er ist schon ganz nervös, hält sich die Ohren zu
und wiederholt immer wieder vor sich hin,
der Schweizer schießt, der Schweizer schießt.
Die Kollegen hinter ihm,
der Schweizer schießt, der Schweizer schießt,
der Schweizer schießt.
Er entflieht der Horde seiner Kollegen,
schleicht sich zu seinem Auftritt, will auftreten.
Da steht immer noch einer und sagt ihm,
der Schweizer schießt ins Ohr.
Er tritt auf, korrigiert und sagt mannhaft und präzise,
der Scheißer schwitzt.
Er steigt an die Bühne.
Und schaut auf und macht noch aus,
der Schweizer schießt versehentlich hin.
Wie sonst.